DISKRIMINIERUNG? OHNE UNS!
Sozial-und Rechtspsychologie: Projektseminar
© EPA/JUSTIN LANE
YES, BLACK IS BEAUTIFUL!
but being black doesn´t always feel beautiful
Carolin Rohrbach
Geschätzte Lesezeit: 25 min
rassistische Diskriminierung: If you change nothing - nothing will change
Das Jahr 2020 stand neben der globalen Pandemie auch im Zeichen einer nahezu weltweiten Bewegung: Tausende Menschen in den USA und in Europa gingen auf die Straße, um sich gegen die Diskriminierung von Menschen mit dunkler bzw. anderer Hautfarbe auszusprechen. Ausschlaggebend für die zahlreichen Proteste war der Tod des Afroamerikaners George Floyd, welcher am 25. Mai 2020 durch Polizeigewalt ums Leben kam. Mit dem Leitspruch „Black Lives Matter“ wird damit eine Problematik angesprochen, welche sich laut den Protestierenden bereits seit vielen Jahrhunderten systematisch durch die Geschichte der Menschheit zieht. Doch weshalb berührt diese Thematik in diesem Ausmaß die Menschen gerade zum jetzigen Zeitpunkt? Und ist die Aktualität und Dringlichkeit dieses Diskurses demnach überhaupt gerechtfertigt im Vergleich zu vorherigen Jahrzehnten?
Rassismus bezeichnet einer Ideologie, in welcher einer Personengruppe auf Grund ihrer Herkunft oder Hautfarbe kollektiv bestimmte Merkmale zugeschrieben werden, auf Basis dessen diese Personengruppe abgewertet, benachteiligt und ausgegrenzt wird. Doch wie sich Diskriminierung von Menschen mit unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe in konkreten Zahlen bzw. in wissenschaftlichen Untersuchungen auf den Alltag, die Gesundheit und die Psyche ausdrückt, ist häufig schwer darzulegen. Rassismus hat viele Gesichter, Definitionen und Ausdrucksweisen und richtet sich nicht, wie es der Name der Bewegung „Black Lives Matter“ vermuten lässt, ausschließlich gegen eine dunkelhäutige Bevölkerung. Unterschiedliche Ethnien sehen sich häufig mit unterschiedlichen Vorurteilen konfrontiert: Hinter arabisch aussehenden Männern wird typischerweise ein Attentäter vermutet, wohingegen asiatische Frauen und ihr Aussehen diskriminiert werden, in dem Sexualisierungen durch das Umfeld stattfinden[1].
Viele Studien und Statistiken, die sich mit dem Thema Rassismus und den daraus folgenden Konsequenzen beschäftigen, beziehen sich hierbei auf unterschiedliche Personengruppen aus verschiedenen Herkunftsländern, unterschiedlichen Hautfarben und Religionszugehörigkeiten.
Der folgende Faktencheck fokussiert sich demnach nicht auf eine spezifische ethnische Zugehörigkeit, sondern möchte unterschiedliche Personengruppen aufgreifen, die potentiell rassistischer Diskriminierung ausgesetzt sind. Darunter befinden sich unter anderem Ausländer, Menschen mit Migrationshintergrund, Asylbewerber, Flüchtlinge und -Afroamerikaner.
Faktencheck Deutschland:
Im Jahr 2019 leben 11,2 Millionen Menschen ausländischer Abstammung in Deutschland [2]:
- Davon stammen 42,5% aus Ländern der europäischen Union, vor allem aus Polen, Rumänien und Italien
- 18,1% kommen aus EU-Kandidatenländern, vor allem der Türkei und Serbien
- 4,6 % stammen ursprünglich aus Afrika
- 20,7% kommen ursprünglich aus Asien, vor allem aus Syrien
Im Jahr 2017 sind 1,5% der deutschen Bevölkerung Opfer von vorurteilsgeleiteter Körperverletzung gekommen. Bei einem Drittel dieser Opfer war der Grund der Körperverletzung die Herkunft des Opfers [3].
Asylbewerber in Deutschland werden überdurchschnittlich oft Opfer von Straftaten: Im Berichtsjahr 2017 wurden Asylbewerber/Flüchtlinge in 46.057 Fällen als Opfer registriert. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Opfer beträgt 4,6 Prozent. Im Jahr 2017 beträgt der Anteil von Asylbewerbern an der gesamten deutschen Bevölkerung jedoch nur 0,003% [4].
AusländerInnen bzw. Menschen mit Migrationshintergrund waren im Jahr 2017 in Deutschland jedoch auch überdurchschnittlich häufig tatverdächtig [4].
2019 zählte das Bundesinnenministerium 7.909 rassistisch motivierte Straftaten in Deutschland. Maßgebend für die hohen Fallzahlen im Bereich der Hasskriminalität waren insbesondere fremdenfeindlichen Straftaten [4].
Die Anzeigebereitschaft der Opfer von Straftaten wird stark von der ethnischen Zugehörigkeit des Täters beeinflusst: Je fremder der Täter, desto eher wird dieser angezeigt [5].
10% der Zuwanderer in Europa geben an, Opfer von "Hasskriminalität" bzw. „Vorurteilskriminalität“ geworden zu sein. Die Rate unter Nicht-Migranten liegt bei 2% [6].
In einer Studie von Bonefeld und Dickhäuser (2018) konnte nachgewiesen werden, dass Schüler mit Namen, welchen einen Migrationshintergrund vermuten lassen (hier „Murat“), signifikant schlechter von Lehrenden bewertet wurden als Schüler mit "deutschen" Namen (hier „Max“), und das trotz gleicher erbrachter Leistung [7].
Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland weisen ein höheres Risiko auf, in Armut bzw. an der Armutsgrenze zu leben [8].
In deutschen Städten verringert ein arabisch klingender Nachname die Chance, zu Wohnungsbesichtigungen eingeladen zu werden, um durchschnittlich 27 Prozent, trotz sonst identischer Unterlagen von Bewerbern mit „deutschen“ Nachnamen [9].
Faktencheck USA: America is more diverse than ever - but still segregated
Der Fair Housing Act von 1968 verbietet gesetzlich die Diskriminierung bei Verkauf, Vermietung und Finanzierung von Wohnraum aufgrund von Rasse, Religion, nationaler Herkunft oder Geschlecht: Trotzdem existiert auch heutzutage in vielen amerikanischen Großstädten eine räumliche Trennung des Wohnraums von Minoritäten und weißen Bürgern. Oft sind die Gegenden, die hauptsächlich von Minoritäten bewohnt werden, schlechter an Infrastruktur angebunden, weisen eine höhere Armutsquote auf, eine niedrigere qualitative Schulbildung und haben einen höheren Anteil an Straftaten und Gewalt [10].
In der USA haben afroamerikanische Einwohner in einigen Städten, wie beispielsweise Chicago, eine siebenfach erhöhte Wahrscheinlichkeit, an Corona zu sterben, als ihre weißen Mitmenschen [11].
Das Infektionsrisiko für CoVid-19 ist für schwarze und hispanische US-Amerikaner ist dreimal so hoch wie für weiße [12].
Afroamerikaner weisen häufiger chronische Krankheiten wie beispielsweise Diabetes, chronischem Bluthochdruck, Herzkreislauferkrankungen oder Krebs auf als weiße US-Bürger auf [13].
Afroamerikanische Männer haben durchschnittlich eine 4 Jahre kürzere Lebenserwartung als weiße amerikanische Männer [14].
Dunkelhäutige Einwohner weisen in Gegenden, in denen ein hoher Anteil an rassistischen Vorurteilen besteht, eine höhere Mortalität sowie ein geringeres Geburtsgewicht auf [15] [16].
Insgesamt gab es in den USA im vergangenen Jahr 1.099 Tötungsfälle durch die Polizei. Davon waren 24 Prozent Schwarze, obwohl diese Bevölkerungsgruppe nur 13 Prozent der Bevölkerung ausmachen [17].
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Ebenen des Rassismus
Wie bereits erwähnt, kann sich rassistische Diskriminierung auf vielfältigen Weisen ausdrücken. Zunächst hängen die erlebten Nachteile, Diskriminierungen und Vorurteile von der Ethnie und der Hautfarbe der betroffenen Personengruppe ab. Weiterhin lässt sich Rassismus jedoch auch gesellschaftlich in unterschiedlichen Ausdrucksweisen differenzieren:
In dem Review von Williams, Lawrence und Davis (2019) gehen die Autoren von drei Ebenen rassistischer Diskriminierung aus: institutionell/strukturell, kulturell und individuell. Um die Ausdrucksweisen der drei Ebenen deutlich zu machen, wird im Folgenden kurz auf die jeweilige Ebene und ein zugehöriges Beispiel eingegangen [13].
institutionell:
Die Wirkweise des institutionellen Rassismus bezieht sich auf Prozesse, die sich innerhalb Gesetze, Verfahrensweisen und Praktiken der Gesellschaft und ihrer Institutionen wiederfinden. Personengruppen, die in der Gesellschaft als minderwertig angesehen werden, werden auf diese Weise unterdrückt, vernachlässigt oder diskriminiert. Das sogenannte „Racial/Ethnic Profiling“, welches Personengruppen nach bestimmten phänotypischen Merkmalen wie beispielsweise ihrer Hautfarbe einordnet und vermehrt Personenkontrollen unterzieht, ist offiziell illegal [18]. Trotzdem steht die deutsche Polizei in regelmäßigen Abständen in den sozialen Medien in Kritik, Menschen mit anderer Hautfarbe bzw. Herkunft vermehrt zu kontrollieren [19]. Die Existenz des „Racial Profiling“ könnte unter anderem ein Hinweis darauf sein, dass selbst innerhalb einer staatlichen Institution wie der Polizei, tiefliegenden diskriminierende Strukturen vorliegen.
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kulturell:
Kultureller Rassismus bezieht sich auf die Verankerung der rassistischen Ideologie in den Werten, der Sprache, den Bildern, den Symbolen und den unausgesprochenen Annahmen der Gesellschaft. Auf dieser Ebene zeigen sich rassistische und ethnische Stereotype beispielsweise beständig in der Unterhaltungsbranche, wie in der Werbung, Sozialen Medien und Mode: Sowohl eine Werbekampagne von H&M, in der ein dunkelhäutiger Junge einen Pullover mit dem Schriftzug „coolest monkey in the jungle“ trägt, als auch eine Werbekampagne von VW wurden zwischenzeitlich stark kritisiert [20] [21].
Weiterhin wurde der Talkshow „Die letzte Instanz“, welche im Februar 2021 im WDR ausgestrahlt wurde, Rassismus vorgeworfen: Vier hellhäutige Gäste -unter anderem Thomas Gottschalk- diskutierten unter anderem darüber, ob alltagsrassistische Begriffe wie beispielsweise „Zigeunersauce“ im Sprachgebrauch noch verwendet werden dürfe. Alle der Gäste stimmten für den weiteren Gebrauch des Begriffs [22].
individuell:
Zuletzt wird Rassismus natürlich auch direkt und offensiv auf individueller, persönlicher Ebene von Betroffenen erlebt. Diese Erfahrungen beziehen sich einerseits auf extremistische Taten von Einzeltätern und Gruppen, die rassistisch motivierte tödliche Anschläge verüben, wie beispielsweise der Angriff in Hanau im Jahr 2020, bei welcher ein Attentäter neun Bürger mit Migrationshintergrund erschoss oder die gewaltsamen Ausschreitungen gegen vietnamesische Gastarbeiter in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992. Neben diesen radikalen Bedrohungen auf der individuellen Ebene stehen aber auch alltagsrassistischen Äußerungen, mit welchen sich ausländische bzw. ausländisch aussehende Personen täglich konfrontiert sehen. Diesem Alltagsrassismus liegt statt einer bösartigen Absicht häufig auch lediglich Ignoranz oder Unwissenheit zu Grunde [23].
Inwiefern rassistische Erfahrungen die betroffenen Mitbürger prägen bzw. beeinflussen, kann im folgenden Interview mit Rachelle, 21 Jahre alt, nachgelesen werden. Die aus Deutschland stämmige dunkelhäutige Theologiestudentin mit Wurzeln in Togo berichtet darin unter anderem über ihren Umgang mit rassistischen Kommentaren, dem Gefühl des „Anderssein“ als einziges dunkelhäutiges Kind in der Kleinstadt und ihrer Definition von Rassismus.